Unbegleiteter minderjähriger Flüchtling – Vormundschaft des Jugendamts

15.03.2024

(DAV). Häufig können Eltern im Ausland das Sorgerecht für ihr Kind, das als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gelangte, nicht ausreichend ausüben. In solchen Fällen kann das Gericht feststellen, dass die elterliche Sorge ruht und zum Beispiel das Jugendamt zum Vormund bestellen.

Der Jugendliche wurde im türkischen Kurdengebiet geboren. 2022 reiste er nach Deutschland ein. Er leidet unter einer beidseitigen Hörschädigung. Das Jugendamt, das ihn in Obhut nahm, ging deswegen davon aus, dass er nicht richtig lesen und schreiben lernen konnte. Er wurde mit einem weiteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtling in einer Wohnung untergebracht und durch pädagogische Fachkräfte im Alltag unterstützt. Einmal im Monat hat er Kontakt zu seinen Eltern, die weder Deutsch noch Englisch sprechen.

Das Jugendamt beantragte die Vormundschaft und hatte damit in zweiter Instanz Erfolg. Das Gericht stellte fest, dass die elterliche Sorge ruhe und die Ausübung des Sorgerechts auf das Jugendamt zu übertragen sei.

Unbegleiteter Flüchtling: Wann ruht das elterliche Sorgerecht?
Stelle das Familiengericht fest, dass die Eltern auf längere Zeit ihr Sorgerecht tatsächlich nicht ausüben könnten, ruhe die elterliche Sorge, erläuterten die Richter. Eine rein körperliche Abwesenheit sei dafür allerdings nicht ausreichend, sofern die Eltern ihre Kinder gut versorgt wüssten und mit modernen Kommunikationsmitteln oder Reisemöglichkeiten auch aus der Ferne Einfluss nehmen könnten. Nur dann, wenn die Eltern auf längere Zeit nicht entscheidend in die Ausübung des Sorgerechts eingreifen könnten sei das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen. Das sei hier der Fall.

Der Jugendliche habe nur etwa alle zwei bis vier Wochen kurzen telefonischen Kontakt zu seinen Eltern. Dieser sei noch dadurch erschwert, dass es in dem Dorf häufig für mehrere Stunden keinen Strom gebe. Innerhalb eines Zeitraums von zwei bis vier Wochen könnten sich jedoch Umstände ergeben, die eine sofortige Entscheidung erforderten, etwa ein notwendiger medizinischer Eingriff. Es sei zweifelhaft, ob die Eltern in einem solchen Notfall tatsächlich zuverlässig erreichbar seien. Darüber hinaus dürften ihnen ausreichende Kenntnisse darüber fehlen, welche Verhältnisse für ihren Sohn in Deutschland bestünden und welche Entscheidungen zu treffen seien.

Eltern im Ausland: Vormund für das Kind in Deutschland?
Das Ruhen der elterlichen Sorge bedeute, dass die Eltern nicht berechtigt seien, das Sorgerecht auszuüben. Daher sei in diesem Fall ein Vormund zu bestellen.
Die Auffassung des Amtsgerichts in erster Instanz treffe nicht zu. Dieses hatte gemeint, dass die Befugnisse des Jugendamts, die es durch die Inobhutnahme habe, ausreichend seien. Diese Befugnisse, so die Richter am Oberlandesgericht, seien jedoch nur vorläufige. Für ein unbegleitetes ausländisches Kind oder einen Jugendlichen sei umgehend die Bestellung eines Vormunds oder Ergänzungspflegers zu veranlassen.

Oberlandesgericht Hamm am 28. November 2023 (AZ: 4 UF 108/23)